Talkshows
Historische Talkshow
Aufführung am 12. Mai 1993 in der Stadtbibliothek Verden
Handelnde Personen:
Moderator = M, Anita von Augspurg = AA, Carl von Einem = CvE
M: Ich möchte Sie sehr herzlich zu diesem Abend begrüßen, zu einem Abend, an dem es nicht nur zu einer Begegnung im Bermuda-Dreieck kommen wird, sondern auch zu einer Begegnung mit zwei außergewöhnlichen Menschen. Ich begrüße als Gäste: Frau Dr. Anita Augspurg und Herrn Generaloberst Carl von Einem.
xxx Auftreten AA und CvE
M: Frau Augspurg, Herr von Einem - den Einheimischen brauche ich Sie beide wohl kaum vorzustellen. Aber für alle Nicht-Verdener hier kurz einige Informationen zur Person unserer Gäste
Anita Augspurg wurde 1857 hier in Verden geboren. Sie war Frauenrechtlerin und Pazifistin - und eine der ersten Juristinnen Deutschlands. Seit 1933 lebte sie in der Emigration in der Schweiz, wo sie 1943 starb. 1993 jährt sich ihr Todestag zum 50. Jahr.
Ist das korrekt, Frau Augspurg?
AA: Vollkommen korrekt.
Nur eine
kleine Ergänzung: ich bin zwar eine der ersten deutschen Juristinnen - aber
studieren und promovieren durfte ich hier nicht.
M: Wo haben Sie denn dann studiert?
AA: In der Schweiz, die schon Ende des letzten Jahrhunderts sehr viel liberaler war.
M: Darauf kommen wir sicher später noch zurück.
M: Nun zu unserem zweiten Gast, Herrn von Einem.
Carl von
Einem wurde 1853 in Herzberg im Harz geboren. Er hätte also in diesem Jahr
seinen 140. Geburtstag gefeiert. Kadettenanstalt, deutsch - französischer Krieg
- seine militärische Laufbahn scheint vorgezeichnet gewesen zu sein. 1873 kam
er als junger Offizier nach Verden, wo er drei Jahre verbrachte.
CvE: Ja - und ich habe
mich hier sehr wohlgefühlt.
M: Auch dazu werden
wir gleich noch kommen.
Carl von
Einem war dann Regimentskommandeur und schließlich für einige Jahre
Kriegsminister unter Wilhelm II. Er starb 1934.
M: Sie beide - Frau
Augspurg, Herr von Einem verbindet nicht nur, daß Sie längere Zeit in Verden
verbracht haben. Es ist auch - zu verschiedenen Zeiten - ein Platz nach Ihnen
benannt worden. Zu beiden Benennungen gab es reichlich kontroverse Meinungen.
Was
verbindet denn nun Sie mit Verden? Frau Augspurg?
AA: Man sagt mir immer
nach, ich hätte nur Negatives über Verden geäußert, aber das stimmt so nicht.
Immerhin habe ich hier eine sehr glückliche Kindheit erlebt. Allerdings - als
ich dann älter wurde, merkte ich: es war eben eine typische Kleinstadt.
M: Wie meinen Sie das?
AA: Na ja - voller
Vorurteile, eine philiströse Gesellschaft.
M: Sie sprechen ja
auch geradezu vom "Philisterland Verden".
AA: Richtig. Ich will
Ihnen sagen: als ich anfing, selbständig zu denken, waren es wirklich bittere
Jahre, die ich in dieser Kleinstadt durchlebte. Ich litt schwer unter der Enge
und Interesselosigkeit dieses Milieus, vor allem, nachdem ich in Berlin und
anderswo eine gewisse geistige Freiheit erlebt hatte.
M: Und Sie, Herr von
Einem? Wie erlebten Sie diese Stadt Verden, in die Sie ja auch nicht freiwillig
kamen, sondern wohin Sie abkommandiert wurden?
CvE: Ein Soldat hat nicht
danach zu fragen, ob es ihm irgendwo gefällt oder nicht. Er hat zu gehorchen
und seine Pflicht zu tun. Aber davon abgesehen - ich habe hier eine der
schönsten Zeiten meines Reiterlebens verbracht. Jede freie Minute fand mich zu
Pferde! Das war das Herrlichste am Aufenthalt in Verden. Die Umgebung in jener
Zeit war für den Kavalleristen ein wahres Dorado. Man konnte auf gelbem Sand
galoppieren, in Ebenen und Fichtenwäldern, auf endlosen Wegen oder über
natürliche Hindernisse - soweit der Himmel blau war. Wie oft habe ich nach
einem langen Galopp dem Pferd die Zügel auf den Hals gelegt, die Arme
ausgestreckt und in der Sonne und in der Kraft meiner Jugend dafür gedankt, am
Leben zu sein.
AA: Das Sie so ein
begeisterter Reiter waren - das könnte Sie mir ja fast ein bißchen sympathisch
machen!
M: Frau Augspurg war
nämlich auch eine passionierte Reiterin und hat während vieler Jahre immer ein
eigenes Reitpferd gehabt.
CvE: Das finde ich ja
außerordentlich interessant, gnädige Frau!
AA: Ja - die Pferde! Die
ungebärdigen, eigenwilligen hatte ich immer am liebsten. Und wenn mal das Pferd
mit mir durchging, machte mir das gewaltigen Spaß!
CvE: Donnerwetter, gnädige
Frau! Dann waren Sie ja eine richtige Amazone.
AA: Na ja, so ein Pferd
muß ja auch mal seinen Willen haben dürfen und nicht immer nur gehorchen
müssen.
CvE: So weit würde ich nun
nicht gehen. Aber ich muß sagen, daß ich als junger Offizier oft selber kein Abendbrot
gegessen habe - das Geld war manchmal einfach zu knapp - aber meine Pferde
haben immer ihren Hafer gehabt.
AA: Dann haben Sie Ihre
Pferde wohl mit in den Krieg genommen?
CvE: Selbstverständlich!
AA: Also, ich hätte mein
Pferd eher töten lassen! In den Kriegsdienst hätte ich es nie gegeben! Aber
glücklicherweise besaß ich im Sommer 1914 gerade kein Pferd, so ist mir diese
bittere Entscheidung erspart geblieben.
CvE: Aber das Vaterland,
gnädige Frau! Das Vaterland brauchte jeden Mann und auch jedes Pferd!
AA: Pah - Vaterland! Mir
war damals schon klar - und nicht nur mir, sondern vielen anderen Frauen auch:
Vaterland - Männererde, die sich haßerfüllt bekämpft und zerfleischt, muß
wieder Frauenerde - Mutterland für alle werden.
CvE: So. Dann gehörten Sie
also auch zu diesen sogenannten Pazifisten, die den Dolchstoß in den Rücken
unserer Armee führten...
M: Herr von Einem,
wenn ich hier einmal unterbrechen darf. Die Geschichtsforschung hat aber doch
inzwischen nachgewiesen, daß es sich bei dieser Dolchstoßlegende eindeutig um
eine Legende handelt. Immerhin gab es 1925 den Dolchstoßprozeß, und auch ein
Untersuchungsausschuß hat diese These entkräftet.
CvE: Jetzt will ich Ihnen
mal was sagen, junge Frau. Und ich darf ja wohl junge Frau sagen...
M: Na ja, immerhin
sind Sie fast hundert Jahre älter als ich!
CvE: Ich will Ihnen jetzt
folgendes sagen: Die deutsche Armee wird wieder auferstehen! Makellos und rein
steht sie vor der Weltgeschichte, trotz ihres Unglücks mit dem unverwelklichen
Lorbeer geschmückt. Daß sie noch kämpfte, als schon Verräter in der Heimat
revolutionierten, beweist am besten ihre unversiegbare Lebenskraft. Der
Dolchstoß der Kanaille in den Rücken des kämpfenden Heeres ist die
unsittlichste Tat, die sich in den Blättern der deutschen Geschichte
verzeichnet findet. Übertroffen wird sie an Gemeinheit nur noch durch die
Tatsache, daß es Menschen gibt, die heute diesen Dolchstoß ableugnen wollen.
AA: Sie sprechen vom
Dolchstoß der Kanaille, Herr von Einem. Dann zählen Sie mich wohl auch zur
Kanaille?
CvE: Also... gnädige
Frau... ich... Und immerhin haben Sie sich geweigert, Verwundeten zu helfen. Es
gibt da einen Satz von Ihnen...
AA: ...der immer wieder unvollständig
zitiert wird. Was ich wirklich gesagt habe, ist: ich würde keine Arbeit für
direkte Kriegszwecke leisten, wie Hospitaldienst, Verwundetenpflege. Halbtot
geschundene Menschen wieder lebendig und gesund machen, um sie abermals den
gleichen oder noch schlimmeren Qualen auszusetzen? Nein, für solchen Wahnsinn
wollte ich mich nicht hergeben. Das sagte ich, danach handelte ich, und dazu
stehe ich noch immer.
M: Frau Augspurg, Herr
von Einem - nun sind wir schon mittendrin in der Weltgeschichte, an der Sie
beide ja auch Ihren Anteil hatten. Ich denke, es ist wichtig - und auch
sicherlich sehr interessant - einmal Ihren Werdegang bis dahin zu verfolgen.
Ich beginne
mal mit Ihnen, Frau Augspurg. Sie sind ja aus Verden weggegangen, um Lehrerin
zu werden.
AA: Nicht um Lehrerin zu
werden, sondern um eine Lehrerinnen-Ausbildung zu machen.
M: Und wo ist da der
Unterschied?
AA: Ganz einfach: ich
hatte nie vor, als Lehrerin tätig zu sein. Ich wollte nur weg aus der geistigen
Enge hier. Andere Menschen zu belehren, zu erziehen, ihnen meine Ansichten und
meinen Willen aufzunötigen, hat mir schon immer widerstrebt. Aber die Berufe,
die ein aus angesehener gutbürgerlicher Gelehrtenfamilie stammendes Mädchen
wählen konnte, waren nun einmal mehr oder weniger auf den Lehrberuf beschränkt.
Übrigens war mir diese Ausbildung später recht nützlich - als Qualifikation für
mein Studium nämlich.
M: Dazu kommen wir
gleich. Aber davor übten Sie noch einige andere Berufe aus...
AA: Richtig. Ich konnte
es schon in meiner Jugend nicht fassen, daß der Mensch lebenslang nur einen und
denselben Beruf ausüben sollte.
M: Nachdem Sie Ihr
Examen als Lehrerin bestanden hatten, machten Sie eine Schauspielausbildung.
Sind Sie denn jemals aufgetreten?
AA: Oh ja! Das
Schauspiel war ein alte Leidenschaft von mir. Mein erstes Engagement war am
Meininger Hoftheater in Altenburg. Es gab auch verschiedene Gastspielreisen -
u.a. nach Riga, das damals ein ganz großartiges Theater hatte.
M: Das Schauspiel war
eine alte Leidenschaft, sagen Sie. Und trotzdem haben Sie es dann aufgegeben.
Warum?
AA: Ach wissen Sie,
anstatt die verklungenen Ereignisse der Geschichte auf der Bühne zu mimen,
wollte ich lieber aktiv mitwirken an dem Wandel der Dinge, der sich damals in Staat
und Gesellschaft vollzog.
M: Zunächst ergriffen
Sie einen weiteren Beruf...
AA: Ja, gemeinsam mit
Sophie Goudstikker - das war eine Malschülerin meiner Schwester - machte ich
in München ein photographisches Atelier auf.
M: Und warum
ausgerechnet in München?
AA: Von allen
Großstädten erschien mir München als die geistig freieste, wenigstens
vorurteilsfreieste Stadt.
M: Auch wenn München
vorurteilsfreier war als andere Städte jener Zeit, war es doch eher
ungewöhnlich, daß hier zwei Frauen ganz selbständig ein Geschäft betrieben.
AA: Das war es auf jeden
Fall! Es erregte natürlich allgemeines Aufsehen in München, daß wir - zwei
Frauen Anfang der Dreißiger - uns geschäftlich mit Erfolg unabhängig machten,
daß wir kurze Haare trugen - man denke: in den 80er Jahren des vorigen
Jahrhunderts! -, daß wir Sport trieben, ritten, radelten und uns ganz allgemein
erdreisteten, nach eigenem Belieben zu leben. Spießbürgern und Neidern gab das
Stoff zu allem möglichen Klatsch. Aber das ließ uns nicht nur kalt es amüsierte uns.
M: Ihr Fotoatelier war
sehr erfolgreich - vor allem, seit sich auch die bayerische Königsfamilie hier
fotografieren ließ. Trotzdem gaben Sie es nach einigen Jahren wieder auf.
Warum?
AA: Es konnte mir nach
einiger Zeit nichts mehr bieten. Alles lief wunderbar - aber wie sollte mich
das auf Dauer befriedigen. Und natürlich kam dazu, daß Sophie und ich uns
einander immer mehr entfremdet hatten.
M: Woran lag das?
AA: Wahrscheinlich an
Sophies Temperament. Sie war hypernervös, und ihre Art wurde mir mit der Zeit
einfach unerträglich.
M: Sie hatten sich
schon seit Jahren für die Frauenbewegung interessiert. Jetzt begannen Sie,
aktiv mitzuarbeiten. Ihr erster Schwerpunkt dabei war die Frauenbildung.
AA: Richtig. Nur eine gebildete
Frau kann ja - egal, ob in der Familie oder im Beruf - etwas für den
Fortschritt eines Volkes bewirken. Deshalb war ich auch immer die schärfste
Gegnerin aller Bildungssurrogate für das weibliche Geschlecht - wie z.B. die
Realkurse von Helene Lange.
M: Das heißt, Sie
setzten sich für eine gleichberechtigte Ausbildung von Jungen und Mädchen ein.
AA: So ist es. 1893
wurde denn auch in Kassel das erste Mädchengymnasium eröffnet, dessen
Reifeprüfung genauso anerkannt wurde wie die Reifeprüfung der Knabengymnasien.
M: Sie selbst hielten
ja die Einweihungsrede für diese Schule...
AA: Ja, der Verein
"Frauenbildungsreform" entsandte mich als seine Vertreterin dorthin.
In diesem Zusammenhang ist es ganz interessant, sich einmal daran zu erinnern,
welche unglaublichen Eierschalen von Vorurteilen in jener Zeit selbst solche
Frauen noch besaßen, die für die Gleichberechtigung der Frauen kämpfen wollten!
Können Sie sich vorstellen, daß meine Mitstreiterin Natalie von Milde vor
meiner Abreise nach Karlsruhe die ernsthafte Frage an mich richtete: Besitzen
Sie denn auch einen Kapotthut für diese Feierlichkeit?
M: Das war 1893. Kurz
darauf begannen Sie Ihr Jura-Studium. Wie kam es dazu?
AA: 1896 sollte das neue
Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich geschaffen werden. Zum ersten Mal
in der deutschen Geschichte meldeten Frauen ihre Ansprüche auf Berücksichtigung
und Gleichstellung im Zivilrecht an. Die Frauenbewegung hat da Großartiges an
Agitation und Aufklärung geleistet! Aber mir wurde schon bald klar, daß ohne
gründliche Fachkunde in Zivil- und Staatsrecht unsere Bemühungen doch ziemlich
dilettantisch bleiben mußten.
CvE: Aber es gab doch
Juristen genug, die an der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches
mitarbeiteten!
AA: Ja - Männer! Wenn
einige von ihnen auch Interesse an der Stellung der Frau in diesem Gesetzeswerk
zeigten - eine Garantie für die Sicherung unserer Rechte war das noch lange
nicht. Nein, nein - da war es schon sicherer, selbst über die nötigen
juristischen Kenntnisse zu verfügen, um dann auch hieb- und stichfest
argumentieren zu können.
M: Sie hatten also
niemals die Absicht, eine Anwaltspraxis zu eröffnen oder, wenn das möglich
gewesen wäre, den Richterberuf zu ergreifen?
AA: Um Himmelswillen,
nein! Wie kann ein Mensch sich denn erdreisten, über einen anderen richten zu
wollen?
Es ging mir
ja wirklich in der Hauptsache darum, durch mein juristisches Fachwissen den
Frauen Einfluß auf die Gestaltung des Gesetzbuches zu verschaffen.
M: Und ist Ihnen das
gelungen?
AA: Wir reichten bei der
1. und 2. Lesung dem Reichstag und der Regierung Abänderungsvorschläge ein und
konnten so eine Anzahl wesentlicher Verbesserungen erzielen.
Mit dem
In-Kraft-Treten des BGB war meine Arbeit allerdings noch nicht beendet. Viele
Frauen mußten ja erst über ihre neuen Rechte informiert werden - und man mußte
sie ermutigen, von diesen Rechten auch Gebrauch zu machen. Ich hielt also viele
Vorträge und Kurse über Familienrecht, Vormundschaft, Berufsstellung usw.
M: Ich denke, das
sollte zu Ihrer beruflichen Laufbahn erst einmal genügen. - Ihre Karriere, Herr
von Einem, verlief da wesentlich geradliniger: vom Kadetten zum Kriegsminister,
ein ungebremster Aufstieg in der militärischen Hierarchie.
CvE: Nach außen hin mag
das so aussehen. Aber daß ich die militärische Laufbahn einschlug - oder ihr
vielmehr treu blieb - ergab sich eigentlich mehr oder weniger zufällig durch
äußere Umstände.
M: Und was für
Umstände waren das?
CvE: Äußerst profane! Es
ging nämlich - wie so oft im Leben - ums liebe Geld. Ich habe ja als ganz
junger Mann den Krieg 70/71 gegen Frankreich mitgemacht und bin dort mit 17
Jahren Offizier geworden - natürlich ohne das Offiziersexamen gemacht zu haben.
Nach dem Krieg mußte ich dann den gesamten Unterricht nachholen. Weil mein
Regiment sich aber noch im Mobilmachungszustand befand, bekam ich während
dieser ganzen Zeit noch das Kriegsgehalt. Und genau das war dann eine
entscheidende Sache für das ganze Leben. Sehen Sie: zur Kavallerie war ich
durch den Krieg gekommen. Vermögen von zu Hause aus hatte ich nicht. Und meine
Mutter konnte mir im Monat nur eine Zulage von etwa 50 Mark geben - was
natürlich nicht ausreichte, um bei der Kavallerie damit auszukommen. Das wurde
mir erst möglich durch die Mobilmachungsgelder und die sonstigen Feldzulagen.
Da konnte ich mir dann gute Pferde kaufen und auch etwas Geld zurücklegen.
M: Sie sagen, Sie sind
mit 17 Jahren Offizier geworden. Da waren Sie ja eigentlich noch ein halbes
Kind.
CvE: Ach wissen Sie, ich
stamme aus einer Familie, in der es immer Offiziere gegeben hat. Mein Vater
stand an der Spitze einer Schwadron des hannoverschen Gardekürassier Regiments
- ich bin also als Kind schon in ein soldatisches Umfeld hineingewachsen. Mit
14 ging es dann in die Kadettenanstalt. Und ich kann Ihnen sagen, daß uns
Kadetten im Sommer 1870 unser Dienst da unendlich schwer war - wo doch die
gleichaltrigen Kameraden schon am Feinde standen. Am 8. August wurden wir dann
endlich auch einberufen.
M: Wo wurden Sie
eingesetzt? Und wie sah Ihr Dienst dort aus?
CvE: Ich kam in die Gegend
von Metz, nach Goin. Das war so ein typisches Lothringisches Drecknest. Wir
mußten strammen Dienst tun, was mir mit meinen 17 Jahren nicht ganz leicht
fiel. Unter anderem hatten wir die Bevölkerung zu entwaffnen und Vieh und
Getreide einzutreiben. - Meine Quartierwirtin war freundlich um mich besorgt,
sie war eine brave französische Bäuerin. Ich habe sie 36 Jahre später als
Kriegsminister wiedergesehen. In Goin hatte sich nichts an Schmutz und Dreck
geändert - nur meine Wirtin war ein altes Mütterchen geworden. Es war ganz
rührend, wie sehr sie sich über das Wiedersehen freute.
M: Sie hatten also
keine persönlichen Haßgefühle gegen die Franzosen?
CvE: Durchaus nicht! In Geschäften
und Quartieren verstanden wir uns sogar recht gut mit ihnen. Nach Kriegsende
haben wir ja auch die französischen Gefangenen bald herausgegeben und damit
nicht zuletzt der bürgerlich-republikanischen Regierung die Möglichkeit
geschaffen, mit den kommunistischen Aufständen in Paris fertig zu werden.
Außerdem wurde die ausgehungerte Stadtbevölkerung von Paris sofort mit
Lebensmitteln versorgt. Und ich erinnere mich keiner einzigen Stimme aus
unseren Reihen, die mit diesen menschenfreundlichen Maßnahmen nicht
einverstanden gewesen wäre!
Wenn man
dagegen bedenkt, wie anders wir dann nach dem Weltkrieg behandelt
wurden! Da kann es eigentlich nur jeder Deutsche nachträglich bedauern, daß man
1871 die Franzosen nicht für alle Zeiten entwaffnet und ihre Festungen
geschleift hat!
M: Sie kamen schon
sehr bald zum Generalstab und wurden schließlich ins Kriegsministerium
versetzt. Wie sehen Sie das Verhältnis von Militär und Politik? Sind das für
Sie Gegensätze?
CvE: Keine Armee ist um
ihrer selbst willen da. Ihr Vorhandensein und ihr Ausmaß begründen allein in
der Verteidigung des Vaterlandes, also in einer Aufgabe, die ausschließlich von
politischen Gesichtspunkten bestimmt wird. Je nach dem außenpolitischen Druck
wird sich also die Stärke der Armee vermindern lassen oder erhöhen müssen -
genauso wie es unter Kaiser Wilhelm I. der Fall war.
AA: Aber wenn Sie von
Politik sprechen, meinen Sie Kabinettspolitik - nicht die vom Volk im Reichstag
vertretene Politik.
CvE: Weil ich dem
Reichstag jede politische Kompetenz abspreche! Und meine Kämpfe mit dem
Reichstag haben bereits im Frieden einen Hauptteil meiner Arbeitskraft
beansprucht. Und nicht nur meiner - den anderen Ministern ging es ganz genauso.
Schon in der Zeit vor dem Weltkrieg - nicht erst im System von Weimar - war der
Reichstag ein Tummelplatz der politischen Leidenschaften. Die Abgeordneten
stellten dabei die deutsche Zerrissenheit in ihrem ganzen Umfang vor der Nation
und vor der Welt zur Schau. Weltanschauliche Unterschiede wurden nicht etwa ausgeglichen
- sie wurden im Gegenteil in seltener politischer Unreife noch vertieft.
Niemals war der Reichstag ein Werkzeug, das die mächtigen Energien des
deutschen Volkes zusammengefaßt und im nationalen Sinne zur Auswirkung gebracht
hätte. Gerade in diesem Hause wurden die Gegensätze vielmehr gesteigert, und
über dem inneren Hader wurden die heraufziehenden außenpolitischen Gefahren
vergessen. Und bedauerlicher Weise ist der Reichstag dieser allgemeinen Linie
seiner Politik treu geblieben, solange er bestand!
M: Sie üben da eine
sehr scharfe Kritik am Parlamentarismus, Herr von Einem.
CvE: Und mit Recht, mit
Recht! Sehen Sie, das Soldatenleben läuft genau gegenteilig ab wie das der
Parlamentarier - die waren ja schon damals auf dem Wege, aus ihrer Tätigkeit
einen Berufsstand zu entwickeln! Wir Soldaten sind erzogen zu gehorchen und zu
befehlen, Verantwortung auf uns zu nehmen und in raschem Tempo vorwärts zu
arbeiten, wobei allein die Sachkenntnis gilt. Beim Parlament liegen die Dinge
genau umgekehrt. Da herrscht überall der Drang, sich in Dinge zu mischen, von
denen jeder wenig oder gar nichts versteht. Und die endlosen Reden dienen in
Wahrheit doch nur dazu, hinter Phrasen und Allgemeinplätzen die mangelnde
Sachkenntnis zu verbergen.
M: Was sagen Sie dazu,
Frau Augspurg? Sie kandidierten ja selbst für den Bayerischen Landtag -
allerdings ohne Erfolg.
AA: Ja - weil die
katholische Geistlichkeit sich massiv gegen mich ausgesprochen hatte!
CvE: Wahrscheinlich weil
Sie Sozialistin waren!
AA: Aber das war ich
doch gar nicht!
CvE: Wie? Meines Wissens
gab es Anfang des Jahrhunderts in Deutschland außer der sozialdemokratischen
keine andere Partei, die Frauen als vollwertige Mitglieder aufnahm.
AA: Das ist schon
richtig. Aber die diktatorische Partei-Disziplin in der Sozialdemokratie
machte es mir unmöglich, dieser Partei anzugehören. Auch der schon damals immer
doktrinärer ausgelegte Marxismus gebärdete sich ja marxistischer als Marx
selbst. Also, mir war es ganz unmöglich, da mitzumachen.
CvE: Bravo, gnädige Frau!
Da haben wir denn ja doch einiges gemeinsam! Ich selbst habe die
Sozialdemokratie mein Leben lang gehaßt. Ich habe in keiner einzigen ihrer
Ideen ein Prinzip entdeckt, das für Staat und Volk nicht irgendwie schädlich
gewesen wäre. Ich habe deshalb den Kampf gegen sie mit reinstem Gewissen und
aus innerer Überzeugung geführt, bin keinem einzigen ihrer Führer irgendwie
nähergetreten, auch ihrem großen Bebel nicht. Ich habe auch keinem
Sozialdemokraten jemals bewußt die Hand gereicht. Denn darüber mußte sich jeder
damals schon klar sein: kamen diese Leute zur Macht oder zu Einfluß, so war
Deutschland unweigerlich verloren. Es konnte gegen sie nur ein Kampf bis aufs
Messer geführt werden!
Und deshalb
noch einmal: bravo, gnädige Frau!
AA: Ich fürchte, daß Sie
mich da wohl mißverstanden haben, Herr von Einem. Mich stieß zwar das
Doktrinäre, Diktatorische ab. An der politischen Arbeit hatte ich lediglich
auszusetzen, daß sie nicht revolutionär genug war. Deshalb trat ich später auch
der fortschrittlichen Volkspartei bei. Hier war nicht nur die individuelle
Freiheit der Mitglieder gesichert - hier deckte sich auch das Programm mit
meinen eigenen Forderungen nach einer revolutionären Demokratie.
CvE: Die fortschrittliche
Volkspartei? Aber das waren ja Freisinnige!
AA: Ganz richtig. Und
mir scheint fast - die verabscheuen Sie noch mehr als die Sozialdemokraten.
M: Sie haben ja sehr
intensiv an der Arbeit der fortschrittlichen Volkspartei teilgenommen. Was für
Erfahrungen haben Sie dabei machen können?
AA: Deprimierende -
besonders was die Zusammenarbeit mit den Männern betrifft.
M: Und was für
Erfahrungen waren das?
AA: Zunächst einmal habe
ich festgestellt: Männer überragen Frauern turmhoch - an Eitelkeit, Selbstgefälligkeit,
Verleumdungstrieb, Neid, Intriganz, Kleinlichkeit und Wichtigtuerei. Und wenn
es darum geht, andere Parteien oder Gegenkandidaten anzugreifen, sind Männer in
der Wahl ihrer Mittel auch viel skrupelloser als Frauen. Eine weitere Erfahrung
aus der gemeinsamen Arbeit: bis auf wenige Ausnahmen sind Männer faul. Sie
werden gefügig, sobald man ihnen Arbeit und Verantwortung abnimmt.
CvE: Also - ich muß schon
sagen: Sie zeichnen da ja ein geradezu abschreckendes Bild von den Männern. Ich
würde es meinerseits nie fertigbringen, so über die Frauen zu sprechen.
AA: Ganz einfach - weil
sie auch gar keinen Grund dazu hätten!
CvE: Ich glaube fast, daß
Sie Männer nicht mögen, gnädige Frau?
AA: Ganz recht, Herr von
Einem, genauso ist es.
M: Woran liegt das?
Haben Sie in Ihrer Jugend schlechte Erfahrungen gemacht - mit Ihrem Vater
beispielsweise?
AA: Nein, eigentlich gar
nicht. Allerdings konnte ich ihn auch nicht so richtig ernst nehmen. Er gehörte
noch zu jenen Männern des frühen 19. Jahrhunderts, welche dem weiblichen
Geschlecht - auch den heranwachsenden Töchtern - gegenüber immer ausnehmend
höflich waren. Mein Vater hielt sehr streng auf äußere Formen und stellte den
Kavalier der alten Zeit dar. Dabei merkte er gar nicht, wie komisch er uns in dieser
Pose vorkam.
M: Wie war denn die
Ehe Ihrer Eltern? Als Kind haben Sie ja mal gesagt, Sie wollten eine
Erziehungs- und Besserungsanstalt für Ehemänner gründen!
AA: Und ich habe damals
auf einem Ausflug in die Lüneburger Heide auch schon einen passenden Platz
dafür ausgesucht! - Ja - wie war die Ehe meiner Eltern? Ein intimes geistiges
Verhältnis hat da wohl nicht bestanden. Der Vater kümmerte sich nicht um
häusliche Angelegenheiten - und worüber hätten sie sonst reden sollen? Für die
damalige Zeit war das wohl ganz normal - aber es war nicht unbedingt so, wie
ich mir mein Leben vorstellte.
CvE: Da habe ich ganz
andere Erfahrungen gemacht. Die Ehe meiner Eltern war denkbar glücklich. Und
ich kann sagen: die meine auch. Ohne meine Frau hätte ich nicht den Weg gehen
können, der mich schließlich zu hohen Stellungen geführt hat. Und diese waren
letztlich nur auszufüllen durch den Halt und den festen Grund, den eine
glückliche Ehe gibt.
M: Sie plädieren also
unbedingt für die Ehe?
CvE: So ist es. Ich muß
immer wieder an die Silberhochzeit des Kaiserpaares denken, zu der ich auch
geladen war. 1906 war das. Sehen Sie - in 25jährigem Zusammenleben hatten
Kaiser und Kaiserin dem ganzen deutschen Volk das Vorbild einer ungetrübten
reinen Ehe gegeben. Selbst der Haß seiner Feinde mußte anerkennen, daß der
Kaiser in seiner Ehe die Treue gehalten hat, bis der Tod der Kaiserin ihren
Lebensbund schied. Und wie gern hätten Klatschsucht und Verleumdungswut auch
hier eine Handhabe gefunden, den Ruf seiner vorbildlichen Eheführung zu
vernichten. Aber diese Ehe war einfach unantastbar. Und so steht sie in unserer
Erinnerung als das Beispiel eines echt deutschen, tiefen und reinen
Familienglücks - so wie das Bild der hochseeligen Kaiserin als das Idealbild
einer deutschen Frau und Mutter in unserem Herzen lebt.
M: Das kam ja nun
wirklich aus tiefster Seele.
CvE: Und ich stehe dazu,
auch heute noch. Sind Sie verheiratet, gnädige Frau?
M: Ja.
CvE: Dann werden Sie mir sicher
beipflichten können. Um so mehr bedaure ich Frau Augspurg, die offenbar ihre
Jahre in Einsamkeit verbringen mußte.
AA: Oh, Sie können sich
Ihr Mitleid sparen, Herr von Einem! Einsam bin ich nämlich nie gewesen.
CvE: Aber wenn ich recht
verstanden habe, waren Sie doch nie verheiratet?
AA: Das nicht. Aber ich
habe die meiste Zeit meines Lebens nicht alleine verbracht. Wie ich ja schon
erwähnte, habe ich einige Jahre lang mit Sophie Goudstikker zusammengelebt. Und
mit Lida Gustava Heymann hatte ich über 40 Jahre lang eine überaus glückliche
Beziehung.
CvE: Sie meinen - Sie
haben - ich meine - also, das ist denn doch...
M: Sie wollen noch
etwas dazu sagen, Herr von Einem?
CvE: Nein. Ich glaube,
dazu fehlen mir denn doch die Worte.
M: Die Worte fehlen
Ihnen beiden hoffentlich nicht, wenn wir uns vom Privaten nun wieder der
Politik und der Zeitgeschichte zuwenden. Das Ende des Weltkriegs von 14/18 haben
Sie beide ja sehr unterschiedlich erlebt.
AA: Die völlige
Machtlosigkeit den kriegerischen Ereignissen gegenüber war so unsagbar qualvoll
gewesen! Zwar hatte es 1915 in Den Haag den internationalen Frauenkongreß gegen
den Krieg gegeben. Und es gab eine Resolution der Frauen nicht nur der
neutralen, sondern auch der kriegsführenden Länder, in der es hieß:
"Wir wollen über den Völkerkrieg hinaus uns die
Hände
reichen, trauernden, gesenkten Hauptes
grüßen wir
uns, einiger denn je in dem Bewußt-
sein, daß
nur, wenn die Frauen befreit sind und
ihre Staaten
lenken helfen, die Welt von der Wie-
derholung eines
gleich grausigen Erlebnisses
verschont
bleiben wird."
Zitat Ende.
CvE: Das hört sich ja
alles gut und schön an, gnädige Frau. Aber bisher haben Frauen Kriege weder
verhindern noch beenden können.
AA: Weil sie eben noch
nicht befreit sind und noch längst nicht genug Einfluß in den einzelnen Staaten
haben!
M: Wie erlebten Sie
das Ende des Weltkrieges 14/18, Herr von Einem?
CvE: War das Ende des
Krieges 1871 das erhebendste, so war der 11. November 1918 das
niederdrückendste Ereignis meines Lebens. Wir empfanden es damals als das
höchste Glück, das uns vom Leben beschieden werden konnte, zu einer Generalität
zu gehören, die es erlebte, daß alle Deutschen einig waren. Die Erinnerung,
dies alles mit 18 Jahren kämpfend erlebt zu haben, und die Kraft aus jener
fernen Zeit haben ausgereicht, auch den Zusammenbruch von 1918 zu ertragen. Und
erhält unsere Pflicht nicht erst ihren wahren Sinn, wenn sie über ernste
Prüfungen hinweghelfen soll? Gegen schwere Schicksalsschläge ist sie - denke
ich - unsere einzige Waffe.
Und immerhin ist das bittere Leid, das zunächst das Herz zu brechen
drohte, dann der unbedingten Zuversicht gewichen, daß aus dem Trümmerhaufen der
Revolution ein neues Reich erstehen würde, großartiger vielleicht, als es das
alte gewesen ist. Denn den deutschen Gedanken hat auch der Geist der Demokratie
und des Marxismus nicht zu fesseln vermocht - er mußte eines Tages
siegreich über die Mächte der Zersetzung triumphieren!
M: Sie denken dabei an
das Aufkommen des Nationalsozialismus?
CvE: Richtig. Bis zum
Jahre 1930 hielt ich mich zurück; Seele und Körper rangen mit der Überwindung
des Erlebten. Die Hoffnung auf die einigen Kräfte Deutschlands, die wir in der
nationalen Bewegung verkörpert sehen, gab den Willen, wieder mitzukämpfen für
das Deutschland von morgen: das Dritte Reich.
AA: Das Dritte Reich!
Ich bin sicher, Sie würden anders reden, wenn Sie es wirklich erlebt hätten,
Herr von Einem!
CvE: Aber Sie haben es
doch auch nicht erlebt, gnädige Frau. Sie zogen es vor, in die Emigration in
die Schweiz zu gehen anstatt nach Deutschland zurückzukehren und für Ihre
Überzeugung einzustehen!
AA: Zurück? Sich gegen
den Terror auflehnen? Für das Prinzip des sogenannten "Sich-Opferns"
fehlte meiner Freundin Lida Gustava Heymann und mir von jeher jedes
Verständnis. Wie gehörten beide nicht zu jenen Naturen, die sich aus innerem
Drang - dabei in Opfern schwelgend - einem Martyrium hingeben und dabei langsam
Gesundheit und Leben einbüßen - und das ohne wirklichen Gewinn für die Ideale,
um die gekämpft wird.
Vielleicht waren wir dazu geistig und körperlich zu gesunde, kräftige
Naturen. Wir wollten uns einfach nicht zur Welt als Jammertal bekennen, sondern
die Welt zum Paradies mit glücklichen Menschen gestalten.
M: Eine Rückkehr nach
Deutschland kam also für Sie nicht in Frage.
AA: Nein, in eine solche
Verblödung hatte uns die Schreckensbotschaft von Hitlers Machtergreifung denn
doch nicht versetzt. Es wäre Wahnsinn gewesen, uns den Hitler-Schergen
auszuliefern. Wir wußten nur zu genau, daß wir bei der Entwicklung, welche die
Dinge in Deutschland genommen hatten, dort für unsere Sache nichts tun
konnten, daß unsere Rückkehr aber unseren Mitarbeitern, Freunden und Verwandten
zur schweren Gefahr werden würde.
Und wir kannten die Grenzen unserer Möglichkeiten bei der Arbeit. Wir
waren uns im klaren darüber, daß wir keine illegale Arbeit mit Erfolg ausführen
konnten. Nicht etwa weil wir solches Vorgehen aus moralischen Gründen
verurteilten - regierenden Mördern und Verbrechern gegenüber gibt es solche
moralischen Pflichten nicht -, sondern einzig und allein deshalb, weil wir
völlig ungeeignete Personen für solche Methoden waren. Illegale Arbeit lief
unserer Natur, unserer ganzen Vergangenheit stracks entgegen. Ich war damals 75
Jahre alt - da lernt man nicht mehr um.
M: Der Platz, der 1933
nach Ihnen, Herr von Einem und 1991 nach Ihnen, Frau Augspurg, benannt wurde,
heißt im Volksmund inzwischen das "Bermuda-Dreieck". Aber während in
dem atlantischen Gebiet zwischen Florida, Puerto Rico und den Bermuda-Inseln
auf unerklärliche Weise Schiffe und Flugzeuge verschwinden, fördert das
Verdener Dreieck eher Umgekehrtes zutage: vor allen Dingen Emotionen.
Als es
nämlich um die Umbenennung des von Einem-Platzes in Anita Augspurg-Platz ging,
begann die Volksseele zu kochen.
Sie beide haben ja - längere oder kürzere Zeit Ihres Lebens - an diesem
Platz gewohnt...
AA: Ja, bis in die
späten 70er Jahre.
CvE: Und ich von 1873 -
1876...
M: Wie sehen Sie denn
nun...
CvE: Sind wir uns denn da
niemals begegnet?
AA: Das kann ich mir
eigentlich gar nicht vorstellen. Warten Sie, da war doch dieser junge
Offizier... könnten Sie das gewesen sein?
M: Frau Augspurg, Herr
von Einem, wie stehen Sie denn nun zur Umbenennung dieses Platzes?
CvE: Ja, ich glaube mich
auch irgendwie an Sie zu erinnern... war Ihr Vater nicht am Amtsgericht?
M: Frau Augspurg, Herr
von Einem, ich möchte noch eine Frage stellen...
AA: Das ist richtig. Was
halten Sie von einem Lokaltermin? Vielleicht frischt das unser Gedächtnis ein
bißchen auf. Immerhin ist das ja nun schon über 100 Jahre her.
CvE: (Steht auf und reicht
ihr den Arm)
Dürfte ich
Sie danach zu einem Glas Wein einladen? Ich höre, es gibt inzwischen
verschiedene empfehlenswerte Lokalitäten dort - am "Bermuda-Dreieck".
AA: Ihre Einladung ist
angenommen
gehen ab.
M: Frau Augspurg...
Herr von Einem...
Ich danke
Ihnen für dieses Gespräch.